Idylle und Lager

Russenlager und Holiday Camp

Lager am Rande der Landhauskolonie Schlachtensee

Auch in Schlachtensee gab es nach 1933 Lager und andere große Einrichtungen des NS-Staats. Bekannt sind mir bisher sieben:

1) Kriegsgefangen- oder Zwangsarbeiterlager („Russenlager“) in der Anackerstraße
(heute Urselweg)
2) Lager bei der „Reichsreiterführerschule“ (Rittergut Düppel) am Königsweg
3) Barackenlager des Oberkommandos des Heeres (OKH) als Ausweichquartier an der Benschallee
4) Kriegsgefangenlager Wiesengrund („Holiday Camp“) westlich davon an der Potsdamer Chaussee
5) Zwangsarbeiterlager der Organisation Todt im südlichen Teil der Wasgenstraße/ Potsdamer Chaussee
6) Zwangsarbeiterlager der Generalbauinspektion Berlin (GBI) nördlich davon Wasgen- /Tewsstr.
7) Zwangsarbeiterlager der Firma Joachim Fischer in der Stöckerzeile (heute Breisgauer Straße) am S-Bahnhof Schlachtensee.

Die Geschichte dieser Lager bzw. das Schicksal der Menschen, die dort festgehalten wurden, zu erkunden, war mein Recherchevorhaben in diesem Jahr.

In der Zwischenzeit habe ich sowohl einen Artikel im Jahresband 2018 des Zehlendorfer Heimatvereins veröffentlich als auch eine Broschüre erstellt, die für 2 Euro im örtlichen Buchhandel oder bei mir erhältlich ist:

 

Der erste Teil der Broschüre ist auf der Seite: Entstehung von Schlachtensee nachzulesen. Den Text des zweiten Teils finden Sie hier.

Darin heißt es u.a.: „Wenn Leserinnen und Leser dieses Artikels dabei mithelfen, könnte auch die menschliche Seite dieses Kapitels Schlachtenseer Zeitgeschichte beschrieben werden.“ Daraufhin habe ich einen Bericht eines alten Schlachtenseers, Herrn Dietmar Simon, erhalten, der mit seiner Familie erst in der Spanischen Allee und dann in der Dubrowstraße (damals Schemannzeile) gewohnt und Kriegsgefangene in Schlachtenseer Straßen gesehen hat. Er berichtet:

„Kinder-Schutzbunker Dubrowstr. 51 – 49

Unter den Häusern Dubrowstr. 51 – 49 befinden sich besonders befestigte Kellerräume, die in der Kriegszeit unter Führung der NSV als „Kinderschutzbunker“ genutzt wurden. In der Zeit von Mai 1944 – bis Mai 1945 bin ich jeden Abend dorthin zum Übernachten gegangen. Es konnten dort schätzungsweise ca. 50-70 Kinder aus der Umgebung in doppelstöckigen Gitterbetten übernachten. Morgens verließen wir gegen 8 Uhr nach dem Frühstück den Bunker. Bei Fliegerangriffen wurde der Bunker auch von erwachsenen Anwohnern genutzt, auch bei Tagesangriffen, so daß er praktisch ganztägig zur Verfügung stand. Als die Russen kamen, versteckten sich in dem dunklen Bunker, elektrisches Licht gab es nicht mehr, zwischen den Gitterbetten auch Frauen, die ihre Gesichter mit Kohle geschwärzt hatten, um weniger gesehen zu werden und alt und hässlich zu erscheinen. Gleichwohl wurden 2 Frauen, die weiter vorne hinter Kindern hockten, von Russen mitgenommen

Bau eines Tiefbunkers 1944/45

Gegenüber dem Haus Dubrowstr. 51 befand sich bis 1944 ein Waldstück, das sich in der Kaiserstuhlstr ca. 100 m bis zu den dort stehenden Reihenhäusern, von der Ecke Spanische Allee bis zur Schopenhauerstr und in dieser ca. 100 m erstreckte. Das Wäldchen wurde etwa Mitte 1944 weitgehend abgeholzt, es wurde mit Hilfe von russischen Kriegsgefangenen ein Tiefbunker aus Beton gebaut. Die Gefangenen wurden morgens in Kolonne die Dubrowstraße aus der Richtung Zehlendorf-West herangeführt, abends in Richtung Zehlendorf-West abgeführt. Bewacht wurden sie von deutschen Soldaten. Zum Bau des Bunkers hatte man eine Lorenbahn mit Dampflokomotive von der Baustelle bis zum Bahnhof Schlachtensee die Kaiserstuhlstr., später auch in Richtung Zehlendorf-West die Dubrowstr.  entlang eingerichtet. Der Bunker ist vor Kriegsende nicht fertig gestellt worden, wurde aber in den letzten Kriegsmonaten schon genutzt. Der Bau war äußerlich wohl weitgehend fertig, aber noch nicht zugeschüttet. Dies geschah erst in den 50er Jahren. Später wurde er wieder zur Sprengung freigelegt, als die dort so um 1970 (?) errichteten Häuser entstehen sollten.

Für mich als Kind war der Bau des Bunkers hochinteressant. Wir Kinder bauten uns in den aufgeschichteten gefällten Baumstämmen Höhlen, ca. 6 m hohe Sandberge waren bis zum Straßenrand vor dem Haus Dubrowstr. 51 aufgehäuft. Der Lokführer nahm mich bisweilen auf seiner Lok mit – wohl nicht ganz erlaubt, denn manchmal sollte ich mich hinter dem Türvorhang verbergen, wenn ein Vorgesetzter kam. Russische Kriegsgefangene schnitzten aus Holz Spielzeug entsprechend russischer Volkskunst, das sie auch bemalten. Sie tauschten dies bei Kindern gegen Nahrungsmittel. (Einiges aus dieser Zeit besitze ich heute noch). Woher sie die Farben nahmen, weiß ich nicht. Der Herstellung der Schnitzarbeiten wurde von deutschen Wachsoldaten geduldet, es kam aber auch vor, dass alles beschlagnahmt wurde.“

Weiterlesen:
schlachtenseesite.wordpress.com/idylle-und-lager/

Über Dirk Jordan

Schlachtensee - Kreuzberg - Schlachtensee, Ortswechsel in Berlin, zugleich Perspektivenwechsel, Lebensabschnitte und Aufgabenwechsel. Wohlbehütet in Schlachtensee aufgewachsen, erste Schritte im politischen Engagement, Studium, die "wilden 68er" in Kreuzberg, Berufsbeginn, Familie, Politik als Beruf, Verwaltungsreform als Aufgabe, immer Lernen dürfen, nun auch als Opa und im "Unruhestand", wieder zurück in Schlachtensee, in allen Feldern habe ich vor allem Glück und Freude gefunden, in allen Bereichen gibt es Aufgaben, die mich bewegen. Über Rückmeldungen freue ich mich: Kontakt: schlachtensee und dann gleich @jordandirk.de
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