In den Jahren 1956 bis 1959 erarbeiteten etwa einhundert Studierende aus liberalen, sozialistischen, evangelischen Studierendengruppen und hochschulpolitisch nicht gebundene Studierende die Dokumente zu NS-Verbrechen und personellen Kontinuitäten von deutschen Juristen. Die Präsentation in Karlsruhe ab Nov. 1959 und etwa 20 bis 30 Universitätsstädten in Deutschland, den Benelux-Staaten und im Vereinigten Königreich löste eine wichtige, heftige Debatte aus. Diese trug wesentlich zu Gesetzesinitiativen und dem Ausscheiden aus dem Amt von etwa 150 schwer belasteten NS-Juristen aus dem Amt bei und leistete so einen wesentlichen Beitrag zur Demokratisierung des Justizwesens in der alten Bundesrepublik.
Die Mehrheit der Deutschen und aller damaliger politischer Parteien war vor 55 Jahren weitgehend gegen die offene Thematisierung der NS-Justizverbrechen eingestellt. Der Senat von Berlin unter W. Brandt lies Universitäten als Ausstellungsorte untersagen und erklärte sich gegen die Steglitzer Pionierausstellung. Dass diese dennoch präsentiert werden konnte, ist der Sachlichkeit des Ausstellungskuratoriums mit Dahlemer Theologieprofessoren und Einzelpersönlichkeiten zu danken. Ohne ausländische Unterstützung wie etwa amerikanische und Schweizer Journalisten, dem Warschauer Justizministerium und besonders dem Unterhaus in London wäre die Ausstellung eventuell verhindert worden und hätte nicht so erfolgreich sein können. Die israelische Regierung betrachtete die Steglitzer Ausstellung mit sehr großem Interesse und lud den Initiator Reinhard Strecker im Frühjahr 1960 ein, bei der wissenschaftlichen Vorbereitung des Eichmann-Prozesses mitzuarbeiten, was dieser annahm. Nach Aussage eines früheren Botschaftsrates soll der damalige FU-Student Strecker als Wiederbegründer der deutsch-polnischen Beziehungen nach 1945 gelten. Die Ausstellung hat somit wichtiges neues Vertrauen zu europäischen Nachbarstaaten geschaffen. Mit der Hinweistafel Pücklerstr. 42 in Dahlem auf Gespräche mit einem Moskauer Botschafter in den sechziger Jahren ist schon einmal der Wert des Dialogs zur Überwindung von Unrecht, Kriegserfahrungen und Feindbildern im europäischen Kontext anerkannt worden.
Die Botschaft Israels begrüßte am 10.06.15 einen kurzen hebräischen Text. Die Regierung in Warschau prüft seit 8. Sept. 2014 die Verleihung eines polnischen Verdienstordens an den Initiator R. Strecker. Die Britische Regierung hatte im April 1960 sehr stark und unterstützend reagiert, aber aktuell noch keine Positionierung zum Vorschlag auch eines kurzen englischen Textes abgegeben. Das Bundesministerium für Justiz bewertet die Steglitzer Ausstellung seit 1989 sehr positiv. Der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, bekundete am 17.10.2014 seinen “Dank und höchsten Respekt” für die Lebensleistung des Ausstellungsinitiators. Die Senatsverwaltung für Justiz unterstützte am 12. Mai 15 den Vorschlag zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande an Strecker, welches am 24. August 2015 in der Senatsverwaltung für Kultur durch den Staatssekretär übergeben werden soll. Die stellv. Vorsitzende des Petitionsausschusses des AGH räumte am 18.06.2015 einen “unzweifelhaft falschen Umgang” mit dem Ausstellungsprojekt vor 55 Jahren ein und deutete an, dass es in der Landeszentrale für politische Bildung im Herbst eine ganztätige Veranstaltung zum Thema geben soll.
Chance zur inneren Befriedung
Von 1968 bis heute sind die Beziehungen zwischen Studierenden und der Exekutive auch von Misstrauen und Zynismus bestimmt. Bundesminister kommen an Universitäten öfter nicht zu Wort, werden “weggejubelt”, z.B. Bundesminister Thomas de Mazière am 10.04.2013 an der Humboldt-Uni. Auf der Basis einer ständig sinkenden Wahlbeteiligung muss von einer abnehmenden Identifikation mit unserem politischen System ausgegangen werden. Eine positive, öffentliche Würdigung der studentischen Pionierausstellung in Steglitz wäre eine wichtige Ermutigung für gewaltfreie Aktionen zur Demokratisierung, die mittelfristig und im Rückblick auch sehr erfolgreich sein können.