BMW Guggenheim Lab – Anzeichen für einen „Kulturinfarkt“?

Das Erschlaffen einer sozialdemokratisch geführten Stadtregierung nach der Wahl im September 2011 wird am ehesten deutlich an einer zwar Ansprüche erhebenden, aber weitestgehend konzeptionslosen Kultur- und Bildungspolitik in Anlehnung an Wirtschaft und Großkapital. Anzeichen dafür ist die fehlgeschlagene Installation des BMW Guggenheim Lab in Kreuzberg. Eine solche Konzeptionslosigkeit trifft seit längerem auch auf Steglitz-Zehlendorf zu, dessen einst bedeutende kulturelle Attraktion seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts trotz Bemühungen einzelner (wie Boleslaw Barlog oder zuletzt auch Dieter Hallervorden mit dem Schlossparktheater) zunehmend verblasste und das vor allem eine Schwerpunkt setzende Eigenständigkeit nicht mehr enwickeln konnte, wie sie vor dem Mauerbau noch vorhanden war.

Statt einer stadtweit an Wirtschaft und Industrie angebundenen Kulturplanung sollten lokale Kulturprojekte entwickelt und gefördert werden, die wiederum enger mit Schulen und Bildungsanstalten verknüpft würden und die auch Querverbindungen mit anderen Bezirken, etwa mit Kreuzberg-Friedrichshain und dem Ballhaus Naunynstraße entwickelten. Dadurch würden nicht nur eigene Kräfte entfaltet, vielfältige Akzente neu gesetzt, alte Wurzeln wiederbelebt. Letztere verkümmerten nicht nur im zum Mode-Schaufenster und zur Kino-Galerie degradierten Titania-Palast, in dem noch der französische Pantomime Marcel Marceau seinen Ruhm begründete und Louis Armstrong, Josephine Baker, Maurice Chevalier internationales Flair verbreiteten. 1952 fand hier sogar die deutsche Erstaufführung statt von Gershwins Oper Porgy and Bess.

Andere Orte früherer kultureller Bedeutsamkeit wie Kafkas Wohnung in der Grunewaldstraße, dessen Roman Das Schloss in der Dramatisierung von Max Brod im Schlosspark-Theater auf die Bühne gebracht wurde, wofür das Ensemble 1953 den Deutschen Kritikerpreis erhielt, aber auch das Dada-Quartier mit dem Verlag Grüne Leiche in der Zimmermannstraße 34 werden heute kaum öffentlich wahrgenommen.

Dass sich jetzt eine Bedrohung der Berliner Kultur insgesamt scheinbar aus purem Geldmangel, in Wirklichkeit aber aus politischer Einfallslosigkeit ankündigt, mag angesichts der vielfältigen Kunst- und Musikszene zunächst nicht überzeugen, lässt sich aber an verschiedenen Symptomen ablesen:

  • Eine Umschichtung der Finanzen auf Kindergärten, Horte, Jugendtheater (wie Grips), Schulen findet kaum statt. Stattdessen die Planung noch einer Bibliothek auf dem Fluggelände Tempelhof, noch eines Museums im Berliner Stadtschloss. Der Vorwurf eines „Kulturinfarkts“, wie er jüngst erhoben wurde, scheint deshalb nicht unberechtigt.
  • Eine inhaltliche Bildungsreform im Sinne einer ständigen Curriculum-Revision ist seit den 70er Jahren nicht zu erkennen. Stattdessen umfangreiche, teuere und in ihrem Nutzen fragwürdige Pisa-Messungen. Gespart wird an besserer Ausbildung und angemessener Vergütung der Pädagogen sowie an der Herrichtung verrotteter Schuleinrichtungen.
  • Statt besserer pädagogischer Ausbildung vor allem im Kita-Bereich und entsprechend besserer Bezahlung für besser Ausgebildete sollen neuerdings Arbeitslose im Schnellverfahren zu Ersatzpädagogen transformiert werden.

  • Die Entwicklung einer Gemeinschaftsschule in Kooperation sowohl mit der Industrie als auch mit den Universitäten wäre schon im Hinblick auf die zukünftige Lage am Arbeitsmarkt dringend erforderlich.

Die Gefahr einer Verflachung unserer weltweit gerühmten Berliner Kultur durch den internationalen Einfluss der Wirtschafts- und Finanzmächte ist nicht von der Hand zu weisen, auch wenn das in andern europäischen Städten und Staaten zunächst noch bedrohlicher aussieht. Die von der New York Times bereits jetzt vorausgesehenen “Austerity Cuts in Culture [which] Touch the Core of Europeans“ werden auch in Berlin schmerzhaft spürbar werden, wenn nicht gleichzeitig ein lokaler Ausbau von in die Zukunft weisenden jugendlichen Kommunikationszentren vorangetrieben wird, in denen Kultur nicht bloß konsumiert, sondern auch kooperativ produziert wird.

Über Edmund Nierlich

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